Karzinoide (Karzinoidtumoren) sind seltene Tumoren, die aus hormonbildenden (endokrinen) Zellen hervorgehen und oftmals Hormone, Überträger- oder Botenstoffe produzieren. Typischerweise wachsen Karzinoidtumoren langsam und treten v.a. im Magen, Dünndarm, Dickdarm, Wurmfortsatz, Thymusdrüse (Bries) oder Lunge auf. Zusammen mit den (neuro-) endokrinen Tumoren der Bauchspeicheldrüse werden Karzinoidtumoren auch unter dem Begriff neuroendokrine Tumoren zusammengefasst. Für die (neuro-) endokrinen Tumoren der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) wird gleichbedeutend auch die Bezeichnung Inselzelltumore der Bauchspeicheldrüse verwendet. Der Wortbestandteil "neuro-" im Begriff des neuroendokrinen Tumors trägt einer gewissen Ähnlichkeit dieser endokrinen Tumorzellen mit Nervenzellen Rechnung. Trotz ihrer Seltenheit erfreuen sich (neuro) endokrine Tumore einer historisch gewachsenen, erstaunlich großen Vielfalt an Begrifflichkeiten und Synonymen.

Der deutsche Pathologe Siegfried Oberndorfer prägte 1907 den Begriff Karzinoid, um auf den meist (sehr) günstigen Verlauf und die meist gute Prognose dieser Tumorerkrankung hinzuweisen. Oberndorfer ordnete den Karzinoiden eine Zwischenstellung zwischen eindeutig bösartigen Tumoren und eindeutig gutartigen Tumoren zu.

Obgleich der Begriff Karzinoid von einigen als "Fehlbezeichnung" angesehen wird, verwenden ihn dennoch auch heutzutage die meisten Patienten und Ärzte auf dieser Welt, insbesondere in Japan, China, Korea, Indien, Australien, Nordamerika, Brasilien und in Russland. Um die Kommunikation und das Wissen um diese Erkrankung nicht durch Begrifflichkeiten und Nomenklatur-Diskussionen einzuengen, werden in den folgenden Seiten beide Bezeichnungen, d.h. sowohl die von neuroendokrinen Tumoren als auch die von Karzinoiden verwendet.
Gemäß der aktuellen WHO-Klassifikation (2010) werden G1 gut-differenzierte neuroendokrine Tumoren als Karzinoide bezeichnet.

 

 

Abbildung 1:
Siegfried Oberndorfer (1876-1944)
Siegfried Oberndorfer

modifiziert nach Modlin et al., Arch Surg 2007; 142:187-197 und Lancet Oncology 2008; 9:61-72

Magen- und Darmkarzinoide aber auch Inselzelltumore der Bauchspeicheldrüse produzieren oftmals Hormone und andere Überträger- und Signalstoffe, die verschiedenste Funktionen des Körpers regulieren. Diese Stoffe werden von den hormonaktiven neuroendokrinen Tumoren oftmals in großer Menge in die Blutbahn freigesetzt und verursachen spezifische Beschwerden (Symptome) im Körper. So treten oftmals dauerhafte Durchfälle, Bauchkrämpfe/Schmerzen, Sodbrennen, Magen- und Zwölf-fingerdarmgeschwüre oder anfallsartige Gesichtsrötungen (Flush-Anfälle) auf. Bemerkenswerterweise gehen aber Karzinoide des Wurmfortsatzes (Appendix) oder des Mastdarms (Rektum) in 99% der Fälle mit keinen derartigen Symptomen einher.

Hormonbildende Zellen, d.h. (neuro-) endokrine Zellen finden sich verteilt im gesamten Körper. Deshalb können prinzipiell an allen Orten im Körper (neuro-) endokrine Tumoren entstehen. Gelegentlich stellen neuroendokrine Tumorzellen oder die neuroendokrine Ausdifferenzierung von Tumorzellen nur eine Teilkomponente eines gemischt-differenzierten endokrin-exokrinen Tumors dar. Da die rein neuroendokrin-differenzierten Tumorformen aber bei weitem führend sind, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die neuroendokrinen Tumoren im eigentlichen Sinne. Hinsichtlich der sog. Mischtumoren (endokrin-exokrine oder amphikrine Tumore) wird auf andere Informationsquellen und die wissenschaftliche Literatur verwiesen. Sie werden hier nicht besprochen.

 

 

Prof. Dr. med. Hans ScherüblFachliche Beratung

Zentrum für neuroendokrine Tumoren
Prof. Dr.med. Hans Scherübl
Vivantes Klinikum Am Urban
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